WIZO-Info-2005
Mit einer großen Abschiedstour quer durch Europa wird Anfang 2005 eine Band
zu Grabe getragen, die als kleine Keller-Combo begann und später als heißester
Exportartikel in Sachen deutscher Punkrock um den ganzen Globus reiste. Auf
dem eigenen Label verkauften sie einige hunderttausend Tonträger und waren
berüchtigt für ihre Skandale und Aktionen, mit denen sie sich in ihrer 19-
jährigen Laufbahn wiederholt die Aufmerksamkeit der Medien auf der ganzen
Welt verschafften. Zuletzt mit ihrer „STICK-EP“. Ein wiederbeschreibbarer USB-
Stick, der als erster Tonträger der Welt, über die Musik hinaus einen Eigenwert
für die Fans brachte und erneut für ein großes Medienecho sorgte.
Auf ihrer letzten Tournee werden sich die drei Schwaben 35 Mal von ihrer
stärksten Seite zeigen, wenn sie bei einem Zwei-Stunden-Konzert im
verschwitzten Club-Ambiente mit ihren Fans den Abschied feiern. Ein Abschied,
der nicht wenigen schwer fallen wird. WIZO spielte den deutschen Soundtrack
zur Punkwelle in den Neunzigern und vertonte für viele damit das Lebensgefühl
einer ganzen Generation.
Am 5. März 2005 wird Axel Kurth, Sänger, Gitarrist, Komponist und Mastermind der
Sindelfinger Punkrockband WIZO, seinen Geburtstag feiern. Wenn alles gut geht, hat er
zu diesem Zeitpunkt ein wichtiges Kapitel seines Lebens abgeschlossen. Am Vorabend
wird er das allerletzte WIZO-Konzert gespielt haben und hat damit etwas beendet, was
für die vergangenen 19 Jahre die musikalische Hauptrolle in seinem Leben spielte.
WIZO wurde auf dem Schulhof gegründet, als er in die zehnte Klasse ging. Als lustige
Idee eigentlich, um der Langeweile der Daimlerstadt zu entkommen und um selbst etwas
zu machen, anstatt nur rumzuhängen. Punk war damals zwar nicht mehr ganz neu, aber
immer noch spannend und sogar noch ziemlich gefährlich. Punkrock war im Gegensatz
zum sterilen Synthie-Pop oder dem bornierten Haarspray-Heavy-Metal eine Möglichkeit,
direkt Energie umzusetzen, scheißegal, ob man ein Gitarrensolo konnte oder nicht.
Es dauerte eine Weile, aber irgendwann hatten WIZO ihr erstes Konzert, in einem
Jugendhaus in der schwäbischen Provinz. Dann ein zweites und drittes. Sie spielten auf
Parties, in besetzten Häusern. Ziemlich früh erkannten sie die Chancen, die eine
lebendige Szene bot. Konzerte für andere Bands wurden ausgemacht, im Gegenzug gab
es schon sehr früh Gigs weit weg von Sindelfingen. Eine Demo-Kassette wurde
aufgenommen, verschickt, getauscht und plötzlich sogar massenhaft verkauft. Es folgten
mehr Konzerte, Umbesetzungen und noch eine Demo-Kassette. Man traf Leute, reiste an
den Wochenenden durch die Republik und spielte vor immer mehr Menschen. Als WIZO
irgendwann Fratz Thum traf, verging nicht einmal ein Jahr, und man hatte gemeinsam
eine komplette Deutschland-Tour gebucht, die erste 7“-EP auf den Markt gebracht und
schließlich sogar das erste Album „Für’ n Arsch“ veröffentlicht. Auf dem gemeinsamen
Label „HULK RÄCKORZ“. Das war 1991.
Und es ging weiter, wie im Schnelldurchgang. Touren durch das ganze deutschsprachige
Gebiet. Die zweite LP „Bleib Tafer“, nur wenige Monate nach der ersten. Wieder
selbstfinanziert, Hilfe von irgend jemand gab es nicht, das kommerzielle Interesse an
Punkrock mit deutschen Texten war zu dieser Zeit gering, einen Großvertrieb zu finden
fast unmöglich.
WIZO spielten mehr Konzerte, überall im Land, dann sogar in Ungarn und der
Tschecheslowakei. Und sie verkauften Platten, bald waren es einige Tausend.
Zwischendurch gab es immer wieder Aufruhr um die drei Schwaben, mit Aktionen und
Skandalen schafften Sie es, das Interesse der Boulevard-Journaille zu wecken. Man sah
Sie im Fernsehen, las über sie in „Spiegel“ oder „Bild“.
Dann ein erster Höhepunkt. Mit der Idee, einen aktuellen Dance-Titel in Punkrockmanier
zu covern, traten WIZO nicht nur eine Lawine los, die bis heute noch gelegentlich durch
die Hitparaden rollt. Sie schafften es sogar bis ins Musikfernsehen, das damals noch aus
London kam. Ihre Version von ACE OF BASEs „All That She Wants“ war nicht nur ein
Charterfolg in Skandinavien, sondern die einzige Coverversion, die von den Schweden
jemals genehmigt wurde. Das Video dazu hatten WIZO mit ihren Kumpels vom eben
gegründeten Regionalfernsehsender für einen Kasten Bier gedreht, es wurde für sehr viel
Geld an die Polydor in Hamburg verkauft. Sie gewannen den Wettkampf, der um die
Schwaben nach ihrem MTV-Feature zwischen den Majorlabels entbrannt war. Das viele
Geld wurde in einen Bandbus investiert, mit dem man auf noch mehr Konzerte fuhr.
Die Polydor war so schnell weg, wie sie aufgetaucht war. Die nächste Platte von WIZO
wurde wieder auf HULK RÄCKORZ veröffentlicht. Es war ein Meilenstein in der deutschen
Punkrockmusik, der sich bis zum heutigen Tag noch beinahe ungebrochen weiter
verkauft. „UUAARRGH!“ traf den Nerv der Kids, die sich 1994 irgendwie weltweit im
Aufbruch zu befinden schienen. WIZO war die Band aus Deutschland, die zur richtigen
Zeit am richtigen Ort war, als die Punkwelle plötzlich auch hier ins Rollen kam.
Die Platte ging schnell einige zehntausend mal über die Ladentheke. Die Konzerte waren
ausverkauft und die Ereignisse überschlugen sich. Eine Lizensierung auf das kalifornische
Label FAT WRECK CHORDS brachte den Tonträger um die ganze Welt, begeisterte
Punkrocker von Kanada bis nach Neuseeland.
Auch in Deutschland war das ganz große Interesse auf einmal da. Musikmagazine
standen Schlange, „Die Ärzte“ wollten WIZO als Vorgruppe im Herbst 94. Vorher ging es
auf die WARPED-TOUR in die USA und Kanada, danach auf Clubtour durch die
Südstaaten.
Wieder Zuhause knirschte es. Der plötzliche Erfolg und die Menschen, die immer da sind,
wo es nach Geld riecht, brachten einen fauligen Geruch mit sich. Spannungen
untereinander entstanden. Die hektisch aufgenommene neue Platte „Herrénhandtasche“,
pünktlich zur Tour mit „Die Ärzte“ veröffentlicht, schoß in die deutschen Album-Charts,
Das Musikfernsehen flehte um einen Video-Clip und 10.000 Menschen in der Essener
Grugahalle feierten eine Vorgruppe, bis der Boden zu wackeln begann.
Am Ende des Jahres mußte der Schlagzeuger gehen. Der Rest der Band versuchte der
rasanten Entwicklung standzuhalten. Alles wurde größer, teurer und wichtiger. WIZO war
innerhalb von einigen Monaten zu einer Rockmaschinerie mutiert. Die Spannung
zwischen dem, weshalb man alles einmal angefangen hatte und dem, zu was man
geworden war, wurde immer unerträglicher.
Der neue Trommler, ein alter Kumpel spielte eines seiner ersten WIZO-Konzerte vor fast.
35.000 Menschen auf dem Bizarre-Festival. Bei der längst fälligen Detonation schließlich,
erwischte es hier einige WDR Kameras. Trotzdem ging es beinahe ungebremst weiter.
Die Tour 1996 war fast überall ausverkauft, WIZO schwammen im Erfolg, im Geld und in
den Widersprüchen. Niemand hatte je geträumt, mit einer Schulhof-Punkrockband so
weit zu kommen.
Plötzlich reiste man nach Japan und spielte dort Konzerte, dann nach Kanada. In Quebec-
City war es beinahe wie daheim in Stuttgart, 2000 Menschen sangen WIZO-Lieder und
feierten die Sindelfinger, die es gar nicht mehr glauben konnten.
Touren nach Frankreich und England schienen da nachvollziehbarer und wogen viel.
Wenige Bands mit deutschen Texten hatten je im Nachbarland und im Mutterland des
Punk gespielt, WIZO fanden sich auf einmal in ausverkauften Clubs wieder.
Mittlerweile gab es wieder einen neuen Schlagzeuger, die Band wollte endlich einen
würdigen Nachfolger zur „UUAARRGH!“-Platte aufnehmen und verstrickte sich im eigenen
Ehrgeiz. Ein eigenes Studio wurde gebaut, neue Songs ausgefeilt und schließlich
totarrangiert. Zwischendurch immer wieder einzelne neue Stücke, die als Beiträge zu
Samplern veröffentlicht wurden. Und ganz selten nur noch Auftritte, meist auf großen
Festivals. Man wollte nichts vorwegnehmen von der großen neuen Platte, zu der dann die
große neue Tour kommen sollte. Alles ganz perfekt und genauso, wie es alle von den drei
Erfolgsschwaben erwarteten.
Beinahe im Alleingang flickte Axel nun Song-Baustellen zusammen, mischte
Vorproduktionen ab, bastelte aus Pilotspuren fertige Stücken und produzierte schließlich
eine neue „WIZO“-Platte. Um die Lieder aus dem Kopf zu bekommen, die er für eine
Band geschrieben hatte, die irgendwann ihre Unschuld verloren hatte und weil man sich
selbst irgendwo aus den Augen verloren hatte.
Mitten in der Produktion, widersprüchlicher könnte es kaum sein, katapultierte sich WIZO
wieder einmal in die weltweite Beachtung. Durch ein revolutionäres Tonträger-Konzept,
die „STICK-EP“, ein wiederbespielbarer USB-Stick, mit dem die Band den Fans den
weltweit ersten Tonträger liefert, der durch seine Wiederbeschreibbarkeit Eigenwertigkeit
bietet. Die Idee kam Axel, als er nach Auswegen aus der Musikbusiness-Tretmühle
suchte. Als Nebenprodukt war sie jedoch so gut, daß sie trotz aller Zerfallserscheinungen
an die Öffentlichkeit mußte. Die Reaktionen schwindelerregend, die Verkäufe des Sticks
sprengten alle Erwartungen. Das enthaltene Songmaterial auf der „STICK-EP“ war bereits
das Grundgerüst der geplanten finalen Platte.
Diese wurde zügig weiter zusammen gestellt, einen Namen gab es schon vorher, eine
Idee für das Cover nicht. Am Morgen der selbst gestellten Deadline, fotografiert Axel die
leere Klorolle im Studio kürt sie zum Cover. Die letzte WIZO-CD „anderster“ war fertig.
Konsequenterweise, weigerte er sich, das Ergebnis als „das Beste“ zu bewerben, „was er
je gemacht hatte“. So, wie es in der Branche üblich ist, wo gerne übertrieben wird und in
Marketingplänen gedacht wird. Keine Anzeigen, keine Freiexemplare, nicht mal eine
Pressemitteilung zur neuen CD, nur ein Hinweis im bandeigenen E-Mail-Newsletter. Die
Marke von zehntausend verkauften Alben wurde trotzdem in wenigen Wochen geknackt.
Zum Schluß gibt es eine große Abschiedstour. Ein letzter Kraftakt, um die einst so
großartige Band WIZO in Würde zu Grabe zu tragen. 35 Konzerte, einmal komplett durch
Deutschland, Österreich, die Schweiz. Eines in Ungarn und dann noch das erste und
zugleich letzte WIZO-Konzert in Italien. Zwei Stunden werden die Drei auf der Bühne
stehen, sich quer durch alle ihre Alben spielen und gemeinsam mit ihren Fans den
Abschied feiern. Manch einer wird sich wehmütig an vermeintlich bessere Zeiten
erinnern. Andere werden die Sindelfinger zum ersten Mal sehen und danach vielleicht
erst jenes schmutzigschöne Punkrock-Universum entdecken, die Bands wie WIZO in ihrer
musikalischen Wucht und Widersprüchlichkeit hervorgebracht hat.
Axel Kurth wird dieses Kapitel seines Lebens hinter sich lassen. Zwar mit Wehmut und
Ungewißheit, aber auch mit der Aussicht auf neue Taten. Und wenn er daran denkt, daß
er sich nach der Tour in künftige musikalische Projekte stürzen kann, freut er sich darauf
fast genauso, wie damals auf dem Schulhof.
BESETZUNG :
KONTAKT:
WEBSEITEN:
Band: www.wizo.de
Jörn Genserowski - Herr Thomas Guhl - Axel Kurth
INFORMATION:
# WERDEGANG: Gründung auf dem Schulhof, erste Proben Winter 85/86, erstes Konzert
November 1987.
VERÖFFENTLICHUNGS-HIGHLIGHTS:
KONZERT-HIGHLIGHTS:
NOCH WISSENSWERT:
SKANDALE:
GERICHTSPROZESSE UND ANDERE KONFLIKTE:
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